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Dietrich Bohhoeffer
Auszüge aus seinem Buch "Gemeinsames Leben"
Gemeinschaft         Der einsame Tag

Gemeinschaft

...Ebenso gibt es eine „seelische" Nächstenliebe. Sie ist zu den unerhörtesten Opfern fähig, sie übertrifft die echte Christusliebe oft weit an brennender Hingabe und an sichtbaren Erfolgen, sie redet die christliche Sprache mit überwältigender, zündender Beredsamkeit. Aber sie ist es, von der der Apostel sagt: „Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und liesse meinen Leib verbrennen- das heisst, wenn ich die äussersten Taten der Liebe mit der äussersten Hingabe verbände- „und hätte der Liebe nicht" (nämlich die Christusliebe), so wäre ich nichts" (1Kor 13,2). Seelische Liebe liebt den Andern um seiner selbst willen, geistliche Liebe liebt den Andern um Christi willen. Darum sucht seelische Liebe die unmittelbare Berührung mit dem Andern, sie liebt ihn nicht in seiner Freiheit, sondern als den an sie Gebundenen, sie will mit allen Mitteln gewinnen, erobern, sie bedrängt den Andern, sie will unwiderstehlich sein, sie will herrschen. Seelische Liebe hält nicht viel von der Wahrheit, sie relativiert sie, weil nichts, auch nicht die Wahrheit, störend zwischen sie und den geliebten Menschen treten darf. Seelische Liebe begehrt den Andern, seine Gemeinschaft, seine Gegenliebe, aber sie dient ihm nicht. Vielmehr begehrt sie auch dort noch, wo sie zu dienen scheint. An zweierlei, das doch ein und dasselbe ist, wird der Unterschied zwischen geistlicher und seelischer Liebe offenbar: Seelische Liebe kann die Aufhebung unwahr gewordener Gemeinschaft um der wahren Gemeinschaft willen nicht ertragen, und seelische Liebe kann den Feind nicht lieben, den nämlich, der sich ihr ernstlich und hartnäckig widersetzt. Beides kommt aus derselben Quelle: Seelische Liebe ist ihrem Wesen nach Begehren, und zwar Begehren nach seelischer Gemeinschaft. Solange sie dies Begehren noch irgendwie befriedigen kann, solange wird sie es nicht aufgeben, auch um der Wahrheit willen nicht, auch um der wahren Liebe zum Andern willen nicht. Wo sie aber für ihr Begehren keine Erfüllung mehr erwarten kann, dort ist sie am Ende, nämlich beim Feind. Hier schlägt sie um in Hass, Verachtung und Verleumdung.
Eben hier aber ist der Ort, an dem die geistliche Liebe anfängt. Darum wird die seelische Liebe zum persönlichen Hass, wo sie der echten geistlichen Liebe begegnet, die nicht begehrt, sondern dient. Seelische Liebe macht sich selbst zum Selbstzweck, zum Werk, zum Götzen, den sie anbetet, dem sie alles unterwerfen muss. Sie pflegt, sie kultiviert, sie liebt sich selbst und sonst nichts auf der Welt. Geistliche Liebe aber kommt von Jesus Christus her, sie dient ihm allein, sie weiss, dass sie keinen unmittelbaren Zugang zum andern Menschen hat. Christus steht zwischen mir und dem Andern. Was Liebe zum Andern heisst, weiss ich nicht schon im Voraus aus dem allgemeinen Begriff von Liebe, der aus meinem seelischen Verlangen erwachsen ist - das alles mag vielmehr vor Christus gerade Hass und böseste Selbstsucht sein -, was Liebe ist, wird mir allein Christus in seinem Wort sagen. Gegen alle eigenen Meinungen und Überzeugungen wird Jesus Christus mir sagen, wie Liebe zum Bruder in Wahrheit aussieht. Darum ist geistliche Liebe allein an das Wort Jesu Christi gebunden. Wo Christus mich um der Liebe willen Gemeinschaft halten heisst, will ich sie halten, wo seine Wahrheit um der Liebe willen mir Aufhebung der Gemeinschaft befiehlt, dort hebe ich sie auf, allen Protesten meiner seelischen Liebe zum Trotz. Weil geistliche Liebe nicht begehrt, sondern dient, darum liebt sie den Feind wie den Bruder. Sie entspringt ja weder am Bruder, noch am Feind, sondern an Christus und seinem Wort. Seelische Liebe vermag die geistliche Liebe niemals zu begreifen; denn geistliche Liebe ist von oben, sie ist aller irdischen Liebe etwas ganz
Fremdes, Neues, Unbegreifliches. Weil Christus zwischen mir und dem Andern steht, darum darf ich nicht nach unmittelbarer Gemeinschaft mit ihm verlangen. Wie nur Christus so zu mir sprechen konnte, dass mir geholfen war, so kann auch dem Andern nur von Christus selbst geholfen werden. Das bedeutet aber, dass ich den Andern freigeben muss von allen Versuchen, ihn mit meiner Liebe zu bestimmen, zu zwingen, zu beherrschen. In seiner Freiheit von mir will der Andere geliebt sein als der, der er ist, nämlich als der, für den Christus Mensch wurde, starb und auferstand, für den Christus die Vergebung der Sünde erwarb und ein ewiges Leben bereitet hat. Weil Christus an meinem Bruder schon längst entscheidend gehandelt hat, bevor ich anfangen konnte zu handeln, darum soll ich den Bruder freigeben für Christus, er soll mir nur noch als der begegnen, der er für Christus schon ist. Das ist der Sinn des Satzes, dass wir dem Andern nur in der Vermittlung durch Christus begegnen können. Seelische Liebe macht sich ein eigenes Bild vom 
Andern, von dem, was er ist und von dem, was er werden soll. Sie nimmt das Leben des Andern in die eigenen Hände. Geistliche Liebe erkennt das wahre Bild des Andern von Jesus Christus her, es ist das Bild, das Jesus Christus geprägt hat und prägen will.
Darum wird geistliche Liebe sich darin bewähren, dass sie den Andern in allem, was sie spricht und tut, Christus befiehlt. Sie wird nicht die seelische Erschütterung des Andern zu bewirken suchen durch allzu persönliche, unmittelbare Einwirkung, durch den unreinen Eingriff in das Leben des Andern, sie wird nicht Freude haben an frommer, seelischer Überhitzung und Erregung, sondern sie wird dem Andern mit dem klaren Worte Gottes begegnen und bereit sein, ihn mit diesem Wort lange Zeit allein zu lassen, ihn wieder freizugeben, damit Christus mit ihm handle. Sie wird die Grenze des Andern achten, die durch Christus zwischen uns gesetzt ist, und sie wird die volle Gemeinschaft mit ihm finden in dem Christus, der uns allein verbindet und vereinigt. So wird sie mehr mit Christus von dem Bruder sprechen als mit dem Bruder von Christus. Sie weiss, dass der nächste Weg zum Andern immer durch das Gebet zu Christus führt und dass die Liebe zum Andern ganz an die Wahrheit in Christus gebunden ist. Aus dieser Liebe spricht Johannes, der Jünger.
"lch habe keine größere Freude, denn dass ich höre, dass meine Kinder in der Wahrheit wandeln" (3. Joh 1,4)
Seelische Liebe lebt aus unkontrolliertem und unkontrollierbarem dunklem Begehren, geistliche Liebe lebt in der Klarheit des durch die Wahrheit geordneten Dienstes. Seelische Liebe bewirkt menschliche Knechtung, Bindung, Verkrampfung, geistliche Liebe schafft Freiheit der Brüder unter dem Wort. Seelische Liebe züchtet künstliche Treibhausblüten, geistliche Liebe schafft die Früchte, die unter dem freien Himmel Gottes in Regen, Sturm und
Sonne in aller Gesundheit wachsen nach Gottes Wohlgefallen.
Es ist für jedes christliche Zusammenleben eine Daseinsfrage, dass es gelingt, rechtzeitig das Unterscheidungsvermögen zutage zu fördern zwischen menschlichem ldeal und Gottes Wirklichkeit und zwischen geistlicher und seelischer Gemeinschaft. Es entscheidet über Leben und Tod einer christlichen Gemeinschaft, dass sie in diesen Punkten so bald wie möglich zur Nüchternheit kommt. Mit andern Worten: ein gemeinsames Leben unter dem Wort wird nur dort gesund bleiben, wo es sich nicht als Bewegung, als Orden, als Verein, als collegium pietatis auftut, sondern wo es sich als ein Stück der einen, heiligen, allgemeinen, christlichen Gemeinde versteht, wo es an Not, Kampf und Verheissung der ganzen Kirche handelnd und leidend teilnimmt.
Jedes Ausleseprinzip und jede damit verbundene Absonderung, die nicht ganz sachlich durch gemeinsame Arbeit, durch örtliche Gegebenheiten oder durch familiäre Zusammenhänge bedingt ist, ist für eine christliche Gemeinschaft von größter Gefahr. Auf dem Wege der geistigen oder geistlichen Auslese schleicht sich immer das Seelische wieder ein und bringt die Gemeinschaft um ihre geistliche Kraft und Wirksamkeit für die Gemeinde, treibt sie in die Sektiererei. Der Ausschluss des Schwachen und Unansehnlichen, des scheinbar Unbrauchbaren aus einer christlichen Lebensgemeinschaft kann geradezu den Ausschluss Christi, der in dem armen Bruder an die Tür klopft, bedeuten. Darum sollen wir hier sehr auf der Hut sein.
Man könnte nun bei unscharfer Beobachtung meinen, dass die Vermischung von Ideal und Wirklichkeit, von Seelischem und Geistlichem dort am nächsten liege, wo eine Gemeinschaft in ihrer Struktur mehrschichtig, das heisst also, wo, wie in der Ehe, in der Familie, in der Freundschaft, das Seelische an sich schon eine zentrale Bedeutung für das Zustandekommen der Gemeinschaft überhaupt einnimmt und wo das Geistliche nur noch zu allem Leiblich-Seelischen hinzutritt. Es sei demnach eigentlich nur in diesen Gemeinschaften eine Gefahr der Verwechslung und Vermischung der beiden Sphären vorhanden, während eine solche bei einer Gemeinschaft rein geistlicher Art kaum eintreten könne. Mit diesen Gedanken befindet man sich jedoch in einer großen Täuschung. Es ist aller Erfahrung und, wie leicht ersichtlich, auch der Sache nach genau umgekehrt. Eine Ehe, Familie, Freundschaft kennt die Grenzen ihrer gemeinschaftsbildenden Kräfte sehr genau; sie weiss, wenn sie gesund ist, sehr wohl, wo das Seelische seine Grenze hat und wo das Geistliche anfängt.
Sie weiss um den Gegensatz leiblich-seelischer und geistlicher Gemeinschaft. Umgekehrt aber liegt gerade dort, wo eine Gemeinschaft rein geistlicher Art zusammentritt, die Gefahr unheimlich nahe, dass nun in diese Gemeinschaft alles Seelische mit hineingebracht und mit untermischt wird. Eine rein geistliche Lebensgemeinschaft ist nicht nur gefährlich, sondern auch durchaus eine unnormale Erscheinung. Wo nicht leiblich-familiäre Gemeinschaft oder die Gemeinschaft ernster Arbeit, wo nicht das alltägliche Leben mit allen Ansprüchen an den arbeitenden Menschen in die geistliche Gemeinschaft hineinragt, dort ist besondere Wachsamkeit und Nüchternheit am Platz. Darum breitet sich ja erfahrungsgemäss gerade auf kurzen Freizeiten am allerleichtesten das seelische Momoment aus. Nichts ist leichter, als den Rausch der Gemeinschaft in wenigen Tagen gemeinsamen Lebens zu erwecken, und nichts ist verhängnisvoller für die gesunde, nüchterne brüderliche Lebensgemeinschaft im Alltag.
Es gibt wohl keinen Christen, dem Gott nicht einmal in seinem Leben die beseligende Erfahrung echter christicher Gemeinschaft schenkt. Aber solche Erfahrung bleibt in dieser Welt nichts als gnädige Zugabe über das tägliche Brot christlichen Gemeinschaftslebens hinaus. Wir haben keinen Anspruch auf solche Erfahrungen, und wir leben nicht mit andern Christen zusammen um solcher Erfahrungen willen. Nicht die Erfahrung der christlichen Bruderschaft, sondern der feste und gewisse Glaube an die Bruderschaft hält uns zusammen. Dass Gott an uns allen gehandelt hat und an uns allen handeln will, das ergreifen wir im Glauben als Gottes grösstes Geschenk, das macht uns froh und selig, das macht uns aber auch bereit, auf alle Erfahrungen zu verzichten, wenn Gott sie uns zu Zeiten nicht gewähren will. Im Glauben sind wir verbunden, nicht in der Erfahrung.
„,Siehe, wie fein und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen", das ist der Lobpreis der Heiligen Schrift auf ein gemeinsames Leben unter dem Wort. In rechter Auslegung des Wortes „einträchtig" aber darf es nun heißen: „wenn Brüder durch Christus beieinander wohnen"; denn Jesus Christus allein ist unsere Eintracht. „Er ist unser Friede." Durch ihn allein haben wir Zugang zueinander, Freude aneinander, Gemeinschaft miteinander.


Der einsame Tag


Viele suchen die Gemeinschaft aus Furcht vor der Einsamkeit. Weil sie nicht mehr allein sein können, treibt es sie unter die Menschen. Auch Christen, die nicht allein mit sich fertig werden können, die mit sich selbst schlechte Erfahrungen gemacht haben, hoffen in der Gemeinschaft anderer Menschen Hilfe zu erfahren. Meist werden sie enttäuscht und machen dann der Gemeinschaft zum Vorwurf, was ihre eigenste Schuld ist. Die christliche Gemeinschaft ist kein geistliches Sanatorium. Wer auf der Flucht vor sich selbst bei der Gemeinschaft einkehrt, der missbraucht sie zum Geschwätz und zur Zerstreuung, und mag dieses Geschwätz und diese Zerstreuung noch so geistlich aussehen. In Wahrheit sucht er gar nicht die Gemeinschaft, sondern den Rausch, der die Vereinsamung für kurze Zeit vergessen lässt und gerade dadurch die tödliche Vereinsamung des Menschen schafft. Zersetzung des Wortes und aller echten Erfahrung und zuletzt die Resignation und der geistliche Tod sind das Ergebnis solcher Heilungsversuche.
Wer nicht allein sein kam, der hüte sich vor der Gemeinschaft. Er wird sich selbst und der Gemeinschaft nur Schaden tun. Allein standest du vor Gott, als er dich rief, allein musstest du dem Ruf folgen, allein musstest du dein Kreuz aufnehmen, musstest du kämpfen und beten, und allein wirst du sterben und Gott Rechenschaft geben. Du kannst dir selbst nicht ausweichen; denn Gott selbst hat dich ausgesondert. Willst du nicht allein sein, so verwirfst du den Ruf Christi an dich und kannst an der Gemeinschaft der Berufenen keinen Anteil haben. „Wir sind allesamt zum Tode gefordert und wird keiner für den andern sterben, sondern ein jeglicher in eigener Person für sich mit dem Tod kämpfen... ich werde dann nicht bei dir sein, noch du bei mir" (Luther).
Umgekehrt aber gilt der Satz: Wer nicht in der Gemeinschaft steht, der hüte sich vor dem Alleinsein. In der Gemeinde bist du berufen, der Ruf galt nicht dir allein, in der Gemeinde der Berufenen trägst du dein Kreuz, kämpfst du und betest du. Du bist nicht allein, selbst im Sterben und am Jüngsten Tage wirst du nur ein Glied der großen Gemeinde Jesu Christi sein. Missachtest du die Gemeinschaft der Brüder, so verwirfst du den Ruf Jesu Christi, so kann dein Alleinsein dir nur zum Unheil werden. Soll ich sterben, so bin ich nicht allein im Tode, leide ich, so leiden sie (die Gemeinde) mit mir" (Luther).
Wir erkennen: Nur in der Gemeinschaft stehend können wir allein sein, und nur wer allein ist, kann in der Gemeinschaft leben. Beides gehört zusammen. Nur in der Gemeinschaft lernen wir recht allein sein und nur im Alleinsein lernen wir recht in der Gemeinschaft stehen. Es ist nicht so, dass eins vor dem andern wäre, sondern es hebt beides zu gleicher Zeit an, nämlich mit dem Ruf Jesu Christi. Jedes für sich genommen hat tiefe Abgründe und Gefahren. Wer Gemeinschaft will ohne Alleinsein, der stürzt in die Leere der Worte und Gefühle, wer Alleinsein sucht ohne Gemeinschaft, der kommt im Abgrund der Eitelkeit, Selbstvernarrtheit und Verzweiflung um. Wer nicht allein sein kann, der hüte sich vor der Gemeinschaft. Wer nicht in der Gemeinschaft steht, der hüte sich vor dem Alleinsein.
Der gemeinsame Tag der christlichen Hausgemeinschhaft wird begleitet von dem einsamen Tag jedes Einzelnen. Das muss s0 sein. Unfruchtbar ist der gemeinsame Tag ohne den einsamen Tag für die Gemeinschaft wie für den Einzelnen.
Das Merkmal der Einsamkeit ist das Schweigen, wie das Wort das Merkmal der Gemeinschaft ist. Schweigen und Wort stehen in derselben inneren Verbundenheit und Unterschiedenheit wie Alleinsein und Gemeinschaft. Es gibt eines nicht ohne das andere. Das rechte Wort kommt aus dem Schweigen und das rechte Schweigen kommt aus dem Wort.
Schweigen heisst nicht Stumm sein, wie Wort nicht Gerede heisst. Stumm sein schafft nicht Einsamkeit und Gerede schafft nicht Gemeinschaft. "Schweigen ist das Übermass, die Trunkenheit und das Opfer des Wortes. Die Stummheit aber ist unheilig, wie ein Ding, das nur verstümmelt, nicht geopfert wurde ..Zacharias war stumm, anstatt schweigsam zu sein. Hätte er die Offenbarung angenommen, vielleicht wäre er dann nicht stumm, sondern schweigend aus dem Tempel gekommen" (Ernest Hello). Das Wort, das die Gemeinschaft neu begründet und zusammenschliesst, wird begleitet vom Schweigen. "Schweigen und reden hat seine Zeit" (Pred 3,7). Wie es am Tage des Christen bestimmte Stunden für das Wort gibt, besonders die gemeinsame Andachts- und Gebetszeit, so braucht der Tag auch bestimmte Zeiten des Schweigens unter dem Wort und aus dem Wort. Das werden vor allem die Zeiten vor und nach dem Hören des Wortes sein. Das Wort kommt nicht zu den Lärmenden, sondern zu den Schweigenden. Die Stille des Tempels ist das Zeichen der heiligen Gegenwart Gottes in seinem Wort.
Es gibt eine Gleichgültigkeit, ja, eine Ablehnung, die im Schweigen eine Geringschätzung der Offenbarung Gottes im Wort erblickt. Hier wird das Schweigen als die feierliche Gebärde, als mystisches Über-das- Wort-Hinaus-wollen missverstanden. Das Schweigen wird nicht mehr erkannt in seiner wesenhaften Beziehung auf das Wort, als das schlichte Stillwerden des Einzelnen unter dem Worte Gottes. Wir schweigen vor dem Hören des Wortes, weil unsere Gedanken schon auf das Wort gerichtet sind, wie ein Kind schweigt, wenn es in das Zimmer des Vaters tritt. Wir schweigen nach dem Hören des Wortes, weil das Wort noch in uns redet und lebt und Wohnung macht. Wir schweigen am frühen Morgen des Tages, weil Gott das erste Wort haben soll, und wir schweigen vor dem Schlafengehen, weil Gott auch das letzte Wort gehört. Wir schweigen allein um des Wortes willen, also gerade nicht, um dem Wort Unehre zu tun, sondern um es recht zu ehren und aufzunehmen. Schweigen heisst schliesslich nichts anderes als auf Gottes Wort warten und von Gottes Wort gesegnet herkommen. Dass dies aber nötig ist zu lernen in einer Zeit, in der das Gerede überhand genommen hat, das weiss jeder von sich selbst, und dass es dabei eben darum geht, wirklich zu schweigen, stille zu sein, seiner Zunge einmal Einhalt zu gebieten, das ist schliesslich nur die nüchterne Folge des geistlichen Schweigens.
Es wird aber das Schweigen vor dem Wort sich auswirken auf den ganzen Tag. Haben wir vor dem Wort schweigen gelernt, so werden wir mit Schweigen und Reden auch am Tag haushalten lernen. Es gibt ein unerlaubtes, selbstgefälliges, ein hochmütiges, ein beleidigendes Schweigen. Schon daraus geht hervor, dass es niemals um das Schweigen an sich gehen kann. Das Schweigen des Christen ist hörendes Schweigen, demütiges Schweigen, das um der Demut willen auch jederzeit durchbrochen werden kann. Es ist das Schweigen in Verbindung mit dem Wort. So meint es Thomas à Kempis, wenn er sagt:
"Keiner redet sicherer als wer gern schweigt". Es liegt im Stille sein eine wunderbare Macht der Klärung, der Reinigung, der Sammlung auf das Wesentliche. Das ist schon eine rein profane Tatsache. Das Schweigen vor dem Wort aber führt zum rechten Hören und damit auch zum rechten Reden des Wortes Gottes zur rechten Stunde. Viel Unnötiges bleibt ungesagt. Das Wesentliche und Hilfreiche aber kann in wenigen Worten gesagt sein.
Wo eine Hausgemeinschaft räumlich eng beieinander wohnt und dem Einzelnen äusserlich die nötige Stille nicht geben kann, dort sind feste Schweigezeiten unentbehrlich.
Wir begegnen dem Andern anders und neu nach einer Zeit des Schweigens. Manche Hausgemeinschaft wird nur durch eine feste Ordnung in dieser Hinsicht dem Einzelnen sein Alleinsein sichern und damit die Gemeinschaft selbst vor Schaden bewahren können.
Wir wollen hier nicht von dem reden, was im Alleinsein und Schweigen den Christen alles an Früchten wunderbarster Art zuwachsen kann. Allzuleicht geriete man hier auf gefährliche Abwege; auch liessen sich wohl manche dunklen Erfahrungen aufzählen, die aus dem Schweigen herauswachsen können. Das Schweigen kann eine furchtbare Wüste sein mit all ihren Einöden und Schrecken. Es kann auch ein Paradies des Selbstbetruges sein, und eins ist nicht besser als das andere. Darum, wie dem auch sei: Keiner erwarte vom Schweigen etwas anderes als die schlichte Begegnung mit dem Worte Gottes, um deswillen er ins Schweigen gekommen ist.

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